Fünf Monate, über 10.000 km entfernt von zu Hause, in einem fremden Land, sogar Kontinent, mit einer neuen Sprache und einem ganz anderen Leben in einer neuen Familie …. Es war eine meiner besten Entscheidungen in meinem 16jährigen Leben, im 1. Halbjahr der EF mit der gemeinnützigen Organisation AFS nach Argentinien zu fliegen. Nach mehreren Vorbereitungsseminaren ging es Ende August 2024 los, wobei das Abenteuer bereits am Frankfurter Flughafen begann, da ich fast meinen Anschlussflug nach Buenos Aires verpasste, weil der Flug aus Düsseldorf Verspätung hatte. Von Buenos Aires ging es dann mit einer kleineren Maschine zum Regionalflughafen von Resistencia.
Von meiner Gastfamilie, einem Freund und meiner lokalen AFS–Kontaktperson Lara wurde ich herzlich mit einem selbstgemalten Schild begrüßt. Da sowohl meine Gastmutter Ana als auch ich bei der freiwilligen Feuerwehr sind und sie kein Auto hat, fuhren wir mit einem Feuerwehr-Jeep nach Paso de la Patria, direkt an der Grenze zu Paraguay und am großen Fluß Paraná gelegen. Das Dorf hat ca. 5.500 Einwohner, eine einzige asphaltierte Straße mit Geschäften, einen wunderschönen langen Strand und ist ein beliebter Touristenort für die Einwohner von Corrientes und Resistencia.

Zu meiner Familie gehörten außer Ana mein 12jähriger Bruder Matteo, mein 7jähriger Bruder Gabriel, mein Großvater Julio sowie 2 Hunde und eine Katze. Außerdem hat Ana zwei Schwestern, die mit ihren Familien in Nachbarstädten leben und die ich öfter besuchte, da sie Kinder in meinem Alter hatten.
Das erste Wochenende war schon eine Herausforderung, da ich meine Gastfamilie kaum verstand, wir also fast nur per Übersetzungsapp kommunizieren konnten. Außerdem war es erstmal ungewohnt, die neue Umgebung, das Essen und die Familiensitten und –regeln zu verstehen, denn meine Gastfamilie hat nicht viel Geld und lebt sehr einfach. Trotzdem hatten sie mir extra ein eigenes Zimmer mit Terrasse gebaut, während sich meine Gastbrüder ein Zimmer teilten. Dies zeigt schon die Herzlichkeit, mit der ich aufgenommen wurde.
Am Montag war es dann schon Zeit für meinen ersten Schultag. Ich wurde von Ana zur Schule begleitet und dort der Direktorin und den Lehrern vorgestellt. Meine Klasse hatte ein Begrüßungsschild für mich gebastelt und stellte mir sehr viele Fragen, so dass an meinem ersten Tag kaum Unterricht stattfand, sondern eher eine Fragestunde mittels Google Übersetzer. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen.
Das Schulsystem hier unterscheidet sich sehr von Deutschland. Als Oberstufenschüler hatte ich jeden Tag nur Nachmittagsunterricht, nur 2x pro Woche gab es morgens Sportunterricht. Das bedeutete, dass mein Unterricht fast immer erst um 13 Uhr begann und bis 18 Uhr dauerte, während die jüngeren Schüler von 8 bis 12 Uhr Schule hatten. Dies hatte Vor- und Nachteile. Natürlich war es schön, im Gegensatz zu Deutschland morgens länger schlafen zu können – vor allem, wenn die Nacht davor kurz gewesen war (in Argentinien wird oft sehr spät gegessen) – aber trotzdem war es nicht ganz ideal, nach der Schule nicht mehr viel vom Tag zu haben.

Nach einiger Zeit verstand ich Lehrer und Schüler besser, die Arbeitsaufträge waren generell deutlich einfacher als in Deutschland und die Stimmung insgesamt sehr freundschaftlich und entspannt. Wenn es regnete, fiel der Unterricht aus (Straßen z.T. unpassierbar)! Vor dem Unterricht und am Ende des Schultags wurde auf dem Schulhof im Beisein aller Schüler und Lehrer die argentinische Fahne gehisst bzw. wieder eingeholt, an speziellen Tagen auch mit Abspielen der Nationalhymne. Die Argentinier sind sehr stolz auf ihr Land!
Ich wurde von der Direktorin in „Kurse mit kreativem Schwerpunkt“ eingeteilt, d.h. vor allem Kunst, Musik und Tanzen. Ja, Tanzen ist in Argentinien ein richtiges Unterrichtsfach – und es wurde zu meinem Lieblingsfach! Da ich in Deutschland in der Tanzschule gewesen war, hatte ich zwar Vorkenntnisse, das Problem war aber, dass hier ganz andere Tänze, wie z.B. Volkstänze oder Tango unterrichtet wurden. Aber es machte sehr viel Spaß, diese zu lernen und z. B. am „Tag der Diversität“ vor den Eltern in der Turnhalle vorzuführen. Es gibt hier sehr viele spezielle Tage, die in der Schule mit besonderen Aktivitäten gefeiert werden, z.B. auch den „Tag der Nationen“, an dem wir unser Klassenzimmer natürlich mit den deutschen Farben schmückten, ich Quarkbällchen und Apfelkuchen machte und mein Deutschlandtrikot anzog.
Mein Alltag in der Familie war abwechslungsreich. Meine Gastmutter erzählte mir viel über Argentinien und seine Traditionen. Mein Opa spielte mit mir Gitarre und erklärte mir argentinische Lieder. Mein kleiner Bruder Gabriel steckte voller Energie und Ideen, und mit ihm wurde es nie langweilig. Wir kochten oder backten zusammen und gingen abends, wenn es ein wenig kühler wurde zu einem Pool in der Nachbarschaft oder auf den Dorfplatz. Oft traf ich mich auch mit Schulfreunden, wir gingen ins Fitnessstudio, zum Strand, hörten Musik und spielten Fußball oder Billard.
An freien Tagen und Wochenenden organisierte Ana Ausflüge für uns. So fuhren wir mit dem Bus zu den größten Wasserfällen der Welt in Iguazú, an der brasilianischen Grenze, die mich sehr beeindruckten. Auch die Besichtigung einer Edelsteinmine und einer Bar, die komplett aus Eis bestanden, gehörten zur Reise dazu. Außerdem besuchten wir Estero del Ibera, ein Sumpfgebiet, in dem wir bei einer Bootsfahrt Krokodile und Wasserschweine (Capybaras) sahen.

Meine Lieblingsreise war aber eine 5-tägige Reise in den Weihnachtsferien nach Mar del Plata. Wir fuhren fast 20 Stunden mit dem Bus dorthin. Die Stadt ist der größte und bekannteste Badeort Argentiniens, und es gab sehr viel zu sehen und zu unternehmen – von Hunderten von Robben, die die Sonne am Strand genossen bis hin zu Jazzkonzerten und einem Dinosaurier-Museum.
In meiner Zeit hatte ich auch die Chance, einige Feste mitzufeiern. Die wohl wichtigsten hier sind Weihnachten und der Dreikönigstag am 6. Januar. An diesem Tag erhalten die Kinder auch erst die Geschenke, so wie die Hl. Drei Könige in der Bibel ebenfalls die Geschenke bringen. Zu Weihnachten wird der Baum geschmückt und gesungen. Das Lustige an Weihnachten ist, dass die Familien hier nicht auf Weihnachtsmärkte, sondern bei 40° C mit Freunden an den Strand gehen!
Silvester wird hier ähnlich gefeiert wie in Deutschland. Feuerwerk ist zwar rechtlich gesehen verboten, aber davon lassen sich die Argentinier nicht aufhalten. An allen drei Festen essen die Argentinier gut und trinken gerne Wein.
Stichwort Essen: Es ist ja bekannt, dass Argentinien das Land des Steaks ist, aber ich als Deutscher konnte mir vor meinem Aufenthalt gar nicht vorstellen, wie gut das Rindfleisch dort eigentlich ist! Das Asado ist ein argentinisches Grillfest, bei dem es sehr viel Fleisch, sowie Salate und verschiedene Getränke gibt. Insgesamt essen die Argentinier nicht viel Gemüse, dafür aber viel Kartoffeln. Außerdem lieben sie Süßes, und zwar sehr Süßes. Hier wäre vor allem “Dulce de Leche” zu erwähnen. Das ist eine Art Karamell und wird als Brotaufstrich, Tortenbelag, Eis oder auch manchmal pur gegessen. Und nicht zu vergessen, Mate-Tee wird von jedem und überall gemeinsam getrunken! Auch mir schmeckt er mittlerweile sehr gut.
Ich habe viel gelernt! Die Gastfreundschaft und Lebensfreude der Argentinier trotz wirtschaftlich schwieriger Situation, die vielen neuen Freundschaften und Einblicke in den Alltag eines völlig anderen Landes haben mein Weltbild doch ganz schön verändert. Argentinien wird immer einen Platz in meinem Herzen haben und ich bin mir sicher, dass ich wieder zurückkehren werde. Dann aber nicht als Austauschschüler, sondern als Besucher meiner „segunda patria“ = zweiten Heimat!
PS: Nun bin ich zurück im Nelly, und wie der Zufall es will, gibt es hier seit August eine argentinische Austauschschülerin in meinem Spanischkurs, die aus Corrientes kommt – das nur 10 km von meinem Dorf in Argentinien entfernt ist! Argentinien ist 8x so groß wie Deutschland – welch ein Zufall, dass sie gerade aus der gleichen Ecke stammt! Wie sagt man auf Spanisch: El mundo es un pañuelo – die Welt ist klein (wörtlich übersetzt: Die Welt ist ein Taschentuch).
Saludos muy cordiales!
AFS Interkulturelle Begegnungen: https://www.afs.de/